MÄRZ 1970 (15.-21.)
ZitatAlles anzeigenAngriffshöhe 400 Meter. Fluggeschwindigkeit 220 km/h. Noch zehn Sekunden bis zum Sprung. Der erste Mann steht sprungbereit in der offenen Tür. Einen halben Kilometer unter sich sieht er die Landschaft vorüberhuschen. Dicht vor sich hört er den Steuerbordmotor der NORATLAS dröhnen, den Fahrtwind am Rumpf entlangschießen. Noch neun Sekunden.
Er hat den Helm auf festen Sitz geprüft, mit Kameradenhilfe die Sprungausrüstung nachgesehen. Den Hauptschirm auf seinem Rücken haben die Packer zusammengelegt. Sie sind selbst Springer. Sie wissen, daß sie jederzeit mit irgendeinem der Schirme springen müssen, die sie selbst gepackt haben. Also behandeln sie jeden so sorgsam wie den eigenen. Die Aufziehleine, die den Schrim nach dem Sprung aus dem Verpackungssack ins Freie zerren wird, sitzt am Ankerseil. Noch acht Sekunden.
Vor der Brust sitzt der Rettungsschirm. Er hat einen Handgriff für die manuelle Auslösung - falls der Hauptschirm nicht aufgeht oder nicht richtig aufgeht. So etwas kommt vor, wenn der Springer schlecht abkommt und sich überschlägt, wobei er die Leinen seines Schirmes verdrehen kann. Noch sieben Sekunden.
Unter dem Rettungsschirm ist der Sprunggepäckbehälter verschnallt. Er enthällt das Sturmgepäck des Springers und seitlich außen die Waffe. Sobald sich der Schirm geöffnet hat, wird der Fallschirmjäger diesen Behälter losmachen und an einer Leine herunterbaumeln lassen. So hat er bei der Landung die Beine frei. Noch sechs Sekunden.
Die Springerstiefel werden ihm festen Halt geben. Beim Landefall, beim Umlaufen des Schirmes. Und dabei wird es sich zeigen, was eine harte Ausbildung wert ist. Das Konditionstraining. Die Übungssprünge vom Zwölfmeterturm. Das Schleifen am Schirm vor der Windmaschine. Der unermüdliche Drill, bis jeder Handgriff im Schlaf sitzt. Weil beim Sprung keine Zeit mehr zum Überlegen bleibt. Noch fünf Sekunden.
Der Springerlehrgang ist eine Strapaze, die nur entschlossene Männer durchstehen. Er ist aber auch die beste Unfallversicherung, und eine Auswahlprüfung ersten Ranges. Überall auf der Welt gelten die Fallschirmjäger als hervorragende Soldaten. Noch vier Sekunden bis zum Sprung.
Dabei steht in der Ausbildung die Sicherheit an erster Stelle. Nur wer voll fit ist, darf springen. Jeder kann zurücktreten. Ein System von Prüfungen und Gegenprüfungen garantiert für tadelloses Gerät und exakten Ablauf des Sprunges. Am Boden wacht die Einsatzleitgruppe über Wetter und richtigen Anflug. In der Maschine leiten drei Absetzer das Springen. Noch drei Sekunden.
Unten ist der Sprungplatz in Sicht. Noch zwei Sekunden.
Die Gruppen in der Maschinen drängen sich jetzt dicht nach vorn - je schneller sie aus der Maschine kommen, desto dichter sind sie am Boden zusammen. Bei Sprüngen in Feindnähe kann davon sehr viel abhängen. Noch eine Sekunde.
Die Maschine schlingert leise: ein Hornsignal, ein Lichtsignal am Türrahmen. Die Absetzer müssen aufpassen wie die Schießhunde - abwechselnd sausen die Fallschirmjäger aus der rechten und linken Rumpftür ins Freie. Tosende Propellerböen werfen sie nach hinten. Sie fallen, bis in die die Zehenspitzen gespannt, im Bogen zur Erde. Der Fahrtwind zischt an den Helmkanten vorbei. Zählen: eintausend, zweitausend, dreitausend, viertausend - und der sanfte Öffnungsstoß des sich aufblähenden Nylongewebes, 88 Quadratmeter Stoff, die den rasenden Sturz auf fünf Meter pro Sekunde herunterbremsen. Den Rest muß ein sauberer Landefall ausgleichen. Bei Bodenwind kommt das Problem hinzu, den Schirm zu umlaufen, damit er den Springer nicht über alle Zäune schleifen kann.
Und im Einsatz geht es nach dem Sprung überhaupt erst richtig los. Sammeln. Sprunggepäck aufnehmen. Waffen und Gerät freimachen. Von der Bildfläche verschwinden, so rasch das eben geht. Orientierung. Sichern. Tempo ist das halbe Leben. Flug und Sprung sind schließlich bloße Transportverfahren. Sie sparen Zeit. Sie erlauben einen hohen Überraschungseffekt. Aber sie begrenzen Munition und Waffen auf den Umfang, den der einzelne tragen kann. Fallschirmjäger müssen daher ihre leichte Bewaffnung durch überlegenes Können ausgleichen. Sie sind nicht bloße Springer, sondern ausgesuchte Kämpfer.
Ein Soldatentyp des 20.Jahrhunderts.
Bild Major Klaus Neumann
Gruß - Kai